Wie Corona uns verändert!

Wie Corona uns verändert!

Was an der Corona-Krise am meisten frappiert, ist, dass eigentlich alles wie immer ist: Tage vergehen. Es gibt einen Morgen und einen Abend. Ein Dazwischen. Dann Schlaf. Oder Tod. Meistens Schlaf. Dazu Essen, Trinken, Verdauen. Gedanken haben und austauschen.

Und natürlich ist auch alles anders. Wer hätte vor nur vier Wochen gedacht, dass man den Tag mit einem Blick auf die „Infiziertenzahlen“ beginnt? Wie viele „Neu-Infektionen“ gibt es? Ich schaue neuerdings auf die Robert-Koch-Instituts- und John-Hopkins-Statistiken wie einst auf den Medaillenspiegel der olympischen Spiele. Auf welchem Platz liegt Deutschland? Wie viele Medaillen haben die USA, die natürlich wieder in Führung sind. Ich horche jeden Tag, was Lothar Wieler, der Chef des RKI zu sagen hat, obwohl er immer dasselbe sagt, nämlich, dass er vorsichtig optimistisch ist, es aber zu früh sei, um endgültige Aussagen zu treffen.

Währenddessen wird mein Leben immer schlichter. Unglaublich, wieviel Abwasch auf einmal anfällt, wenn man nicht mehr ausgehen kann. Mein Liebesleben ist seltsam sediert. Überhaupt bin ich verdammt phlegmatisch. 80000 osteuropäische Erntehelfer werden eingeflogen, aber nur 50 minderjährige Flüchtlinge. Alles andere ist „unzumutbar“. Bin mir auf einmal nicht sicher, ob bei 80000 Menschen die Chance auf einen Infizierten nicht deutlich höher ist als bei 50… Und frage mich, ob die armen Flüchtlinge mehr Chancen hätten, wenn sich einfach als „Rekrutierungs-Camp östlicher Erntehelfer“ umdeklarieren?

Aber damit kann ich mich – wie alle – nicht aufhalten. Denn auf einmal ertönt eine Schalmei, so zuckersüß, so liebreizend, dass man die täglichen Statistiken für einen Moment vergisst. „Die Wirtschaft muss hochgefahren werden!“ schallt es aus allen FDP-nahen und nicht ganz so nahen Ecken. Schrittweise Lockerung der Restriktionen – was noch vor kurzem wie das langweilige Aufwärmen einer Senioren-Nordic-Walking-Gruppe klang, nämlich „schrittweise Lockerung“ – verwandelt sich jetzt in ein Konzerto Furioso der „Rückkehr zur Normalität“. Nun sei es dahingestellt, ob man hektisches Rumreisen durch die Welt, Kreuzfahrten ohne Ende, den kurzen Wochenendtrip nach Lissabon oder das Besaufen in einer Kneipe, um das eigene Elend oder das von Hertha BSC zu vergessen (was häufig dasselbe ist) oder um zu vermeiden, einen Moment der Untätigkeit zu erleben – ob man also all das als „normal“ empfindet. Oder ob es normal ist, Flüchtlinge in griechischen Elendslagern der Pandemie zu überlassen. Hauptsache runter vom heimischen Sofa und ran an den Speck. Immerhin fordert es die Leopoldina, die auch vor vier Wochen noch keiner kannte. Aber es gibt Gegenstimmen. Etwa die Helmholtz Gesellschaft – die warnt vor den Folgen einer zu raschen Lockerung. In Ermangelung von Fußball geraten auch wissenschaftliche Institute mittlerweile in einen Wettstreit: Bin ich für die Leopoldina? Oder das Helmholtz-Institut? Gar fürs RKI? Oder doch lieber Hertha BSC?

Oder bin ich fürs Sofa? Müdigkeit überkommt mich. Eigentlich ist doch alles wie immer. Tage vergehen… „Wann fahren wir unser Liebesleben wieder hoch?“ fragt meine Frau. Ich „Lothar-Wielere“ zurück: Ich bin vorsichtig optimistisch, aber es ist noch zu früh, um endgültige Aussagen zu treffen…